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1. Kapitel: VOM SINN HEILIGER RITEN
Zunächst muss man gut verstehen, was ein Ritus
ist, denn die Riten selbst werden helfen, gleichsam von außen her zum
inneren Kern vorzudringen. In den gottesdienstlichen Riten finden wir
einen authentischen Ausdruck des ganzen katholischen Glaubens, der in
ihnen Gestalt geworden ist. Sie sind nicht einfach ‚gemacht‘, sondern
aus der lebendigen Tradition seit urkirchlichen Zeiten organisch
gewachsen. Man muss sie lesen wie eine Sprache. Diese Sprache besteht
aber nicht nur aus Worten, sondern zugleich auch aus Zeichen. Was wir
‚Ritus‘ nennen umfasst beides: heilige Worte und heilige Gesten. Sie
wirken ineinander und miteinander in wunderbarer
Harmonie. Die kultische Handlung verlangt nach dem deutenden Gebetswort,
und das Wort drückt sich im Gestus aus. Das Wort sagt: „Mea culpa - durch meine Schuld“, während die Hand dasselbe sagt, indem sie an die Brust schlägt.
Die ‚Sprache‘ der Liturgie
Wer in ein Land mit fremder Sprache kommt, wird anfangs nichts
verstehen. Wohl mag er einen gewissen Eindruck von der Melodik der
Sprache gewinnen, doch erst wenn er sich mit ihr vertraut macht, beginnt
er einzelne Wörter zu unterscheiden. Hat er dann aber die Sprache
richtig erlernt, gebraucht er sie mühelos. Ganz ähnlich verhält es sich
mit der ‚Sprache‘ der Liturgie. Wer sie (noch) nicht kennt, wird anfangs
nicht allzu viel von dem verstehen, was sie sagen will. Freilich haben
nicht selten bereits erste oberflächliche Begegnungen den Betrachter
tief berührt und ihm den Anstoß zu einer echten Bekehrung gegeben.
Manche haben das Glück, die Sprache der Liturgie erlernt zu haben
wie die eigene Muttersprache. Sie sind in sie hineingewachsen, und sie
wurde ihr Eigentum von Kindheit an, ohne dass sie sich besonders darum
bemühen mussten. Andere haben sie erst später entdeckt und sich nach und
nach mit ihr vertraut gemacht.
In der Schule werden nicht nur fremde Sprachen unterrichtet,
sondern sogar in allererster Linie die Muttersprache, damit man sie
sicher und fehlerfrei zu gebrauchen lernt. So soll der Horizont für den
ganzen Reichtum der eigenen Sprache erweitert werden. Auch für jene, die
von Kindheit an mit der ‚Sprache‘ der Liturgie vertraut sind, ist es
nützlich, sich immer wieder mit ihr zu beschäftigen. Wir sollten sie wie
unsere Muttersprache lieben, denn es ist die Sprache, mit der die
Kirche auf Erden den himmlischen Vater verherrlicht.
Liturgische Symbole und Riten
Die gottesdienstlichen Riten haben gleichsam eine Innen- und eine
Außenseite, die in gegenseitiger Wechselwirkung stehen. Durch den Ritus
werden innere Haltungen sowohl ausgedrückt als auch hervorgebracht und
gestützt. Eine ordentliche Kniebeuge mit bewusstem Blick zum
Tabernakel bringt Ehrfurcht zum Ausdruck und hilft zugleich, einen
inneren Akt der Anbetung zu setzen.
Die Grundstruktur des Ritus entspricht genau der leib-seelischen
Natur des Menschen. Wären wir reine Geister, also Geistseelen ohne Leib,
bräuchten wir den sichtbaren Ausdruck nicht. So aber ist es notwendig,
dass wir innere Haltungen in äußeren Formen ausdrücken und dass das
Heilige über die Sinne Zugang zur Seele findet. Dazu sagt das Konzil
von Trient: „Die Menschennatur ist so beschaffen, dass sie nicht
leicht ohne die Beihilfe von außen zur Betrachtung göttlicher Dinge
emporsteigen kann. So hat die gütige Mutter, die Kirche, bestimmte
Formen für den Gottesdienst eingeführt, dass nämlich in der Messe
manches leise, anderes aber mit lauter Stimme gesprochen werden soll.
Ebenso nahm sie gottesdienstliche Handlungen in Gebrauch, wie
geheimnisreiche Segnungen, Lichter, Weihrauch, Gewänder und vieles
andere dergleichen nach apostolischer Anordnung und Überlieferung.
Dadurch sollte die Hoheit dieses großen Opfers zum Bewusstsein gebracht
und die Herzen der Gläubigen mittels dieser sichtbaren Zeichen des
Gottesdienstes und der Frömmigkeit zur Betrachtung der erhabenen Dinge,
die in diesem Opfer verborgen liegen, aufgerufen werden.“ (Konzil von
Trient, 22. Sitzung (1562), 5. Kapitel)
Rituelle Ausdrucksweisen gibt es nicht nur in der Liturgie. Auch im
alltäglichen Leben spielen sie eine wichtige Rolle. In der Familie
beispielsweise würde es ganz und gar nicht genügen, die gegenseitige
Hochachtung und Liebe nur im Herzen zu tragen, ansonsten aber auf jeden
äußeren Ausdruck der Zuneigung zu verzichten. Vielmehr muss auch hier
die innere Haltung ausgedrückt werden in konkreten äußeren Zeichen, in
gütigen Worten, in grüßenden Gesten, in einem freundlichen Lächeln oder
in einem Blumenstrauß. Wenn solche Zeichen unterbleiben, man einander
nicht mehr grüßt und einander nicht mehr durch kleine Aufmerksamkeiten
erfreut, wird ganz sicher die Atmosphäre bald merklich kühler, und es
ist nur eine Frage der Zeit, bis auch im Inneren die Liebe erstirbt und
die gegenseitige Hochachtung schwindet.
Ebenso können wir im religiösen Leben nicht auf äußere Zeichen
verzichten, indem wir etwa sagen, es sei doch die Hauptsache, dass es im
Inneren stimme und man Ehrfurcht und Liebe im Herzen trage. Wenn auch
die rechte innere Haltung zweifellos wichtiger als ihr äußerer Ausdruck
ist, so wäre es doch ganz und gar falsch, das eine gegen das andere
auszuspielen und die äußere Seite der Liturgie als nebensächlich zu
betrachten. Ohne äußere Zeichen der Ehrfurcht muss auch die innere
Ehrfurcht zwangsläufig schwinden. Eine Liturgie, die sich mit einem
Minimum von äußeren Riten begnügt, wird langsam, aber sicher flach, kalt
und unfruchtbar. Sie wird kaum mehr im Stande sein, die rechte innere
Haltung zu fördern und das Gemüt zur Andacht zu bewegen.
Andererseits kann der Ritus - so wichtig er als Ausdruck und zur
Stütze innerer Haltungen auch ist - doch niemals deren Ersatz sein.
Damit er ‚funktioniert‘, muss zum äußeren Vollzug notwendig die
entsprechende innere Gesinnung hinzu kommen, denn sonst wäre er nicht
echt, sondern eine Fassade, eine leere Hülse, eine bloße Floskel. Wir
sind gerufen, die Riten der heiligen Messe immer besser kennenzulernen,
um ihren Sinn tiefer zu verstehen. Ihre Sprache soll uns vertraut sein, damit das, was sie sagen will, in uns lebendig wird.
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