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Vom Sinn heiliger Riten


Zunächst muss man gut verstehen, was ein Ritus ist, denn die Riten selbst werden helfen, gleichsam von außen her zum inneren Kern vorzudringen. In den gottesdienstlichen Riten finden wir einen authentischen Ausdruck des ganzen katholischen Glaubens, der in ihnen Gestalt geworden ist. Sie sind nicht einfach ‚gemacht‘, sondern aus der lebendigen Tradition seit urkirchlichen Zeiten organisch gewachsen. Man muss sie lesen wie eine Sprache. Diese Sprache besteht aber nicht nur aus Worten, sondern zugleich auch aus Zeichen. Was wir ‚Ritus‘ nennen umfasst beides: heilige Worte und heilige Gesten. Sie wirken ineinander und miteinander in wunderbarer Harmonie. Die kultische Handlung verlangt nach dem deutenden Gebetswort, und das Wort drückt sich im Gestus aus. Das Wort sagt: „Mea culpa - durch meine Schuld“, während die Hand dasselbe sagt, indem sie an die Brust schlägt.

Die ‚Sprache‘ der Liturgie


Wer in ein Land mit fremder Sprache kommt, wird anfangs nichts verstehen. Wohl mag er einen gewissen Eindruck von der Melodik der Sprache gewinnen, doch erst wenn er sich mit ihr vertraut macht, beginnt er einzelne Wörter zu unterscheiden. Hat er dann aber die Sprache richtig erlernt, gebraucht er sie mühelos. Ganz ähnlich verhält es sich mit der ‚Sprache‘ der Liturgie. Wer sie (noch) nicht kennt, wird anfangs nicht allzu viel von dem verstehen, was sie sagen will. Freilich haben nicht selten bereits erste oberflächliche Begegnungen den Betrachter tief berührt und ihm den Anstoß zu einer echten Bekehrung gegeben.

Manche haben das Glück, die Sprache der Liturgie erlernt zu haben wie die eigene Muttersprache. Sie sind in sie hineingewachsen, und sie wurde ihr Eigentum von Kindheit an, ohne dass sie sich besonders darum bemühen mussten. Andere haben sie erst später entdeckt und sich nach und nach mit ihr vertraut gemacht.

In der Schule werden nicht nur fremde Sprachen unterrichtet, sondern sogar in allererster Linie die Muttersprache, damit man sie sicher und fehlerfrei zu gebrauchen lernt. So soll der Horizont für den ganzen Reichtum der eigenen Sprache erweitert werden. Auch für jene, die von Kindheit an mit der ‚Sprache‘ der Liturgie vertraut sind, ist es nützlich, sich immer wieder mit ihr zu beschäftigen. Wir sollten sie wie unsere Muttersprache lieben, denn es ist die Sprache, mit der die Kirche auf Erden den himmlischen Vater verherrlicht.

Liturgische Symbole und Riten


Die gottesdienstlichen Riten haben gleichsam eine Innen- und eine Außenseite, die in gegenseitiger Wechselwirkung stehen. Durch den Ritus werden innere Haltungen sowohl ausgedrückt als auch hervorgebracht und gestützt. Eine ordentliche Kniebeuge mit be­wuss­tem Blick zum Tabernakel bringt Ehrfurcht zum Ausdruck und hilft zugleich, einen inneren Akt der Anbetung zu setzen.

Die Grundstruktur des Ritus entspricht genau der leib-seelischen Natur des Menschen. Wären wir reine Geister, also Geistseelen ohne Leib, bräuchten wir den sichtbaren Ausdruck nicht. So aber ist es notwendig, dass wir innere Haltungen in äußeren Formen aus­drücken und dass das Heilige über die Sinne Zugang zur ­Seele findet. Dazu sagt das Konzil von Trient: „Die Menschennatur ist so beschaffen, dass sie nicht leicht ohne die Beihilfe von außen zur Betrach­tung göttlicher Dinge emporsteigen kann. So hat die gü­tige Mutter, die Kirche, bestimmte Formen für den Gottesdienst eingeführt, dass nämlich in der Messe manches leise, anderes aber mit lauter Stimme gesprochen werden soll. Ebenso nahm sie gottesdienstliche Handlungen in Gebrauch, wie geheimnisreiche Segnungen, Lichter, Weihrauch, Gewänder und vieles andere dergleichen nach aposto­lischer Anordnung und Überlieferung. Dadurch sollte die Hoheit dieses großen Opfers zum Bewusstsein gebracht und die Herzen der Gläubigen mittels dieser sichtbaren Zeichen des Gottesdienstes und der Frömmigkeit zur Betrachtung der erhabenen Dinge, die in diesem Opfer verborgen liegen, aufgerufen werden.“ (Konzil von Trient, 22. Sitzung (1562), 5. Kapitel)

Rituelle Ausdrucksweisen gibt es nicht nur in der Liturgie. Auch im alltäglichen Leben spielen sie eine wichtige Rolle. In der Familie beispielsweise würde es ganz und gar nicht genügen, die gegenseitige Hochachtung und Liebe nur im Herzen zu tragen, ansonsten aber auf jeden äußeren Ausdruck der Zuneigung zu verzichten. Vielmehr muss auch hier die innere Haltung ausgedrückt werden in konkreten äußeren Zeichen, in gütigen Worten, in grüßenden Gesten, in einem freundlichen Lächeln oder in einem Blumenstrauß. Wenn solche Zeichen unterbleiben, man einander nicht mehr grüßt und einander nicht mehr durch kleine Aufmerksamkeiten erfreut, wird ganz sicher die Atmosphäre bald merklich kühler, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch im Inneren die Liebe erstirbt und die gegenseitige Hochachtung schwindet.

Ebenso können wir im religiösen Leben nicht auf äußere Zeichen verzichten, indem wir etwa sagen, es sei doch die Hauptsache, dass es im Inneren stimme und man Ehrfurcht und Liebe im Herzen ­trage. Wenn auch die rechte innere Haltung zweifellos wichtiger als ihr äußerer Ausdruck ist, so wäre es doch ganz und gar falsch, das eine gegen das andere auszuspielen und die äußere Seite der Litur­gie als nebensächlich zu betrachten. Ohne äußere Zeichen der Ehrfurcht muss auch die innere Ehrfurcht zwangsläufig schwinden. Eine Liturgie, die sich mit einem Minimum von äußeren Riten begnügt, wird langsam, aber sicher flach, kalt und unfruchtbar. Sie wird kaum mehr im Stande sein, die rechte innere Haltung zu fördern und das Gemüt zur Andacht zu bewegen.

Andererseits kann der Ritus - so wichtig er als Ausdruck und zur Stütze innerer Haltungen auch ist - doch niemals deren Ersatz sein. Damit er ‚funktioniert‘, muss zum äußeren Vollzug notwendig die entsprechende innere Gesinnung hinzu kommen, denn sonst wäre er nicht echt, sondern eine Fassade, eine leere Hülse, eine bloße Floskel. Wir sind gerufen, die Riten der heiligen Messe immer besser kennenzulernen, um ihren Sinn tiefer zu verstehen. Ihre Sprache soll uns vertraut sein, damit das, was sie sagen will, in uns lebendig wird.